MI fördert die Resilienz bei Anwender*innen - Interview zur Studie

Heidelberg, 08.12.2020.

Interview mit Paul Endrejat zu einer Studie über den Effekt der Anwendung von MI aufs Wohlbefinden der Anwender*innen

1. Was war eure Inspiration/ Motivation für die Studie?
Auf der International Conference on Motivational Interviewing 2017 in Philadelphia hielt William Miller, der Gründer der Motivierenden Gesprächsführung (engl. Motivational Interviewing; MI) – wie könnte es anders sein – die Key Note. In dieser Rede erwähnte Miller, dass, sollte er heute noch einmal als Forscher aktiv werden, sich dafür interessieren würde, welchen Effekt MI auf diejenigen hat, die es anwenden. Praktischerweise waren alle Forschenden mit Rang und Namen vor Ort und ich konnte direkt nachfragen, ob sich schon jemand des Themas angenommen hatte. Da die Antwort durchgängig „No“ lautete, reifte die Intention zu untersuchen, wie sich ein MI Training auf die späteren Anwender*innen auswirkt.

2. Was sind die Hauptaussagen/ Kernthemen der Studie?
MI hilft nicht nur Gesprächspartner*innen bei einer Veränderung zu begleiten. Wenn Praktiker*innen (Therapeut*innen, Sozialarbeiter*innen, etc.) MI lernen und anwenden, schützen und erweitern sie auch ihre eigenen psychologischen Ressourcen. Hierbei haben wir A) Burnout und B) Resilienz (Beispielaussage: „ich kann Rückschläge gut verarbeiten“) erhoben. Burnout wurde mit dem etablierten Oldenburger Burnout Inventar (OLBI) gemessen. Der OLBI misst zwei Burnoutdimensionen: 1) Erschöpfung („nach der Arbeit bin ich fix und fertig“) und 2) Disengagement („ich distanziere mich von der Arbeit und spreche häufig negativ über diese“). Wenn „Novizen“ MI lernen, dann reduziert sich vier Wochen später ihr Disengagement. Wenden Sie die Inhalte des MI Trainings an, dann steigert sich zudem ihre Resilienz und diese Anwendung erklärt die Reduktion des Disengagements.

3. Welche Ergebnisse habt ihr erwartet und gab es etwas das euch überrascht hat?
Die Ergebnisse bezüglich Disengagement und Resilienz waren hypothesenkonform. Ich hätte eigentlich auch erwartet, dass das MI Training die Anwendenden weniger erschöpft werden lässt. Doch weder das Training, noch die Anwendung der Inhalte hatte Einfluss auf die erlebte Erschöpfung der Teilnehmenden. Dieses Ergebnis lässt sich jedoch gut mit der Job-Anforderungs-Ressourcenmodell erklären. Dieses Modell nimmt an, dass Erschöpfung eine Folge von objektiven Arbeitsanforderungen, wie langen Arbeitszeiten und Personalmangel, ist. Disengagement hingegen entsteht aus einem Mangel an Arbeitsressourcen, der die Motivation der Mitarbeiter untergräbt. Da es unwahrscheinlich ist, dass ein MI-Training dazu beiträgt, objektive Arbeitsbedingungen (d.h. Anforderungen), welche die Erschöpfung beeinflussen, zu verändern, legen unsere Ergebnisse nahe, dass die subjektive Neuformulierung (Reframing) einer Gesprächssituation durch die Praktiker*innen (im Sinne der Wahrnehmung von Möglichkeiten, neue Ressourcen zu gewinnen) ausreicht, um das Disengagement zu reduzieren. Zu der Argumentation, dass MI dabei unterstützt Gespräche mit Klienten als motivierender wahrzunehmen, passt auch Ergebnis, dass die Anwendung die Resilienz der Praktiker steigert, welche Kognitionen, wie Selbstwirksamkeit, beinhaltet.

4. Welche Schlussfolgerungen könnten aus der Studie für MI Community gemacht werden?
Wenden Sie MI an. Trainer*innen, die MI vermitteln sollte schon am Ende des Trainings Bausteine einbauen, die solch einen Transfer forcieren. Und versuchen Sie auch „schwierige“ Klienten nicht als belastend wahrzunehmen, sondern als eine Chance neue Gesprächskompetenzen zu erwerben (was in der entsprechenden Situation natürlicher leichter gesagt als getan ist).

5. Welche Aspekte würdest du gerne im Zusammenhang von MI und Burnout Prävention in Zukunft noch näher betrachten?
Bezogen auf diese Ergebnisse der Studie, würde ich gerne noch ein robusteres Versuchsdesign anwenden: Mit Randomisierung und Kontrollgruppe arbeiten, größere Stichproben sammeln, mehr Messzeitpunkte erheben, die Berufe der Praktiker*innen berücksichtigen und die „objektiven“ MI Skills der Anwendenden erfassen. Bezogen auf MI interessiert mich vor Allem der organisationale Kontext: Können Veränderungsagent*innen sich selbst und die Mitarbeitenden vor Veränderungszynismus bewahren? Und wie ergänzt MI humanistische Ansätzen der dialogischen Organisationsentwicklung, wie bspw. Appreciative Inquiry (deutsch: Wertschätzendes Erkunden)?

6. In wieweit unterscheidet sich MI in der Gesundheitsförderung der Anwender von anderen Methoden?
Eine gute Frage. Es gibt natürlich „klassische“ Resilienz- und Stresspräventiontrainings (z.B. das Zürcher Ressourcen Modell), die den Teilnehmenden dabei helfen eine Situation neu zu bewerten und persönliche Ressourcen aufzubauen, um mit Anforderungen umzugehen. Ich denke die MI Haltung hat viele Überschneidungspunkte mit diesen Ansätzen (z.B. „versuche nicht krampfhaft die Dinge zu ändern, die sich nicht ändern lassen“). Doch der Unterschied ist: MI ist als ein Kommunikationsstil entwickelt wurden, der primär die Gesundheit der Gesprächspartner*innen fördert. Und als solcher ist ein MI Training „alltagsnäher“ als ein Training, in dem die Teilnehmenden mittels Affektbilanz ein Mottoziel formulieren. Beides schließt sich nicht aus, sondern ergänzt sich sehr gut. Aber skeptische Praktiker*innen, die überzeugt sind, zu wenig Zeit zu haben, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern, lassen sich ggf. eher für ein Training überzeugen, wenn sie nicht „nur“ für sich arbeiten, sondern direkt auch ein paar Kommunikationsmethoden für die Arbeit mit Klienten mitnehmen können.

Zur kompletten Studie über researchgate (kostenfrei): https://www.researchgate.net/publication/344395920_Learning_motivational_interviewing_prospects_to_preserve_practitioners'_well-being
oder über emerald: https://www.emerald.com/insight/content/doi/10.1108/IJWHM-03-2020-0041/full/html
Bei Fragen oder Rückmeldung steht Paul Endrejat per E-Mail (paul@thewhyguys.de) gerne zur Verfügung.